Am 22. September 2020 jährt sich Jehuda Amichais Todestag zum zwanzigsten Mal. Der weltberühmten Lyriker, Romancier und Erzähler Jehuda Amichai, der 1936, gerade mal 12 Jahre alt, mit seiner Familie nach Palästina auswandern musste, wurde 1924 in Würzburg als Ludwig Jehuda Pfeuffer in eine jüdisch-orthodoxe Familie hineingeboren.
Obwohl Amichais Muttersprache Deutsch war und er viele deutsche Gedichte und Skizzen schrieb, veröffentlichte er zu Lebzeiten alle seine Gedichte auf Hebräisch. Dafür gab es viele Gründe: Als Amichai 1948 seine ersten Gedichte veröffentlichte, war der forcierte Hebraisierungsprozess, der seit dem Sprachenstreit („language war“) von 1913 zum Nachteil von Jiddisch und Deutsch im neu gegründeten Staat Israel vorangetrieben worden war, noch in vollem Gange[1]. Zudem galt die deutsche Sprache nach 1945 als verunreinigt, weil sie von den Verbrechern der Nazi-Schoah benutzt worden war. Daher hätte kein Verleger in Israel etwas auf Deutsch veröffentlicht.
Erstaunlich ist, nicht zuletzt aus linguistischer Sicht, dass Amichai das sprachlich vielschichtige Hebräisch (Modernes Ivrit, talmudisches, biblisches Hebräisch, etc.) nicht nur in allen seinen Nuancen perfekt beherrschte, sondern darüber hinaus in der Lage war, die hebräische Lyrik zu revolutionieren und international an die literarische Moderne anzuschließen. Durch ihn wurden Wörter wie etwa Panzer, Pistole, Maschinengewehr, Maschinenpistole, Bombe, Bluthund etc. lyrisch salonfähig. Auch entriss er, sozusagen als ein Pionier, der modernen hebräischen Liebesdichtung den Schleier der Verklemmtheit und sprach ungeniert von Lust, Vagina, Glied und Erektion. Auch scheute er in diesem Zusammenhang nicht davor zurück, sakrosankte religiöse Begriffe in profanen und erotischen Bildern für seine Liebeslyrik fruchtbar zu machen. Mann betrachte nur die Gedichte Geradewegs aus deinem Vorurteil oder Wie ist es, eine Frau zu sein? , die repräsentativ für die Maßstäbe stehen, die Amichai seinerzeit setzte, und die späteren Dichtergenerationen zu Gute kommen sollten. So war etwa Yona Wallach, wie unter anderem an dem Gedicht Tefillin zu sehen ist, deutlich von Amichai beeinflusst [→Stele für Yona Wallach].
Amichais lyrisches Vermächtnis beeinflusst die hebräische Dichtung immer noch erheblich. Unter den zeitgenössischen Dichtern, die man in die Kategorie der Fortsetzung von Amichais Weg einordnen kann, wenn auch mit anderen Mitteln, sticht Yitzhak Laor derzeit eindeutig als einer seiner prominentesten Nachfolger hervor. So eifert Laors Werk demjenigen Amichais insofern nach, als es mit einem dichten Netz von intertextuellen Verweisen auf die heiligen Texte des Judentums verwoben ist, das so dicht ist wie das von Jehuda Amichai [siehe Interview mit Yitzhal Laor, ARIEL-ART 2/3 (Juli) 2020].
Aber Amichai hat nicht nur die heutige israelische Lyrik maßgeblich beeinflusst, sondern er gehört seit seiner Entdeckung durch Ted Hughs auch zum Kanon der internationalen Lyrik und wird weltweit gelesen. Er stand mehrmals auf der Short-List für den Literaturnobelpreis und wurde mit zahlreichen israelischen und internationalen Preisen geehrt. Zu Ehren von Jehuda Amichai schreibt Israel alljährlich den Amiachi-Lyrik-Preis aus, der zu den renommiertesten Lyrik-Preisen Israels zählt.
In Deutschland wurde Jehuda Amichai kürzlich in mehreren Anthologien und Essays von dem Lyriker und Übersetzer Amadé Esperer geehrt. Darüber hinaus hat Amadé Esperer die „Würzburger Amichai-Lesung“ ,eine Dichterlesung zu Ehren von Jehuda Amichai, ins Leben gerufen, die seit 2018 regelmäßig Anfang November in Würzburg unter der Schirmherrschaft des Würzburger Oberbürgermeisters Christian Schuchardt stattfindet.
Hana Sokolov-Amichai (widow) and Amadé Esperer at an Amichai reading in 2018
(Photograph: © Rainer Greubel)
[1] Esperer HDA. Vergessen und blühen, blühen und vergessen, das ist alles. Exil 2017;2:74-91