Norman P. Franke
ist ein in Hamilton lebender Wissenschaftler (MA, Universität Hamburg; Ph.D. Humboldt Universität, Berlin), Dichter und Filmemacher. Er ist Research Fellow an der University of Newcastle, New South Wales. Er hat zahlreiche Publikationen über die Literatur des 18. Jahrhunderts, die deutschsprachige Exilliteratur (Albert Einstein, Ernst H. Kantorowicz, Else Lasker-Schüler, Karl Wolfskehl), die Öko-Poetik und die Überschneidung von Religion und Poesie veröffentlicht. Normans Gedichte wurden im Radio gesendet und in Anthologien in Österreich, Deutschland, Neuseeland, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den USA veröffentlicht. (2017/18 Finalist bei den Literaturwettbewerben Aesthetica (UK) und Feldkircher (Österreich); 2019 New Zealand Flash Fiction Day competition, takahē Short Story Competition (NZ)]; 2021 New Zealand National Flash Fiction Award, Waikato Regional Award; 2021 Münchner Lyrikpreis (Shortlist)]
Nach Gabrielle (Einstein in Berlin, Walsex, Einbruch oberhimmlischer Wasser)
Seit 5 Uhr morgens heftiger Orkanregen in einem als Tiny Haus ausgebauten
radlosen Postbus an der Tasman See. Trommelwirbelnd und stoßseufzend.
Sturzfluten krachen vom Sonnensegel aufs genietete Tonnengewölbe des Dachs.
Das Meer verschwand im Regendunst. Uralte Kahikatea Bäume im Tal
wogen. Nicht wie Pflanzenwedel im Bach, nicht wie Löwenmähnen
im Steppenwind, und auch nicht wie gigantische augenlose Wesen
auf den entfernten Planeten der Science-Fiction Filme. In einem lichteren Augenblick
erscheinen zwischen den Bergflanken die Schaumkronen der See.
Horizontlos, nach oben, himmelwärts, offen.
Gestern, bei Ebbe, gingen wir über den Meeresgrund. Neuere Theorien
besagen, dass jenes zu zwei Dritteln die Erde bedeckende Wasser
von Asteroiden herangekarrt wurde. Der Salzgehalt des Meeres
und des menschlichen Bluts sind gleich, meinte Kennedy. Was nicht ganz stimmt,
aber vielleicht war es einmal so.
In einem Morgentraum saß ich neben Albert Einstein in einem Berliner Seminar
über Religion in Preußen. Jeder Diskutant bekam einen Packen Photokopien,
größere, frakturgedruckt, zuunterst; kleinere, kurrendegeschriebene mit Siegeln,
obenauf. Ich sagte ihm, na, das wird was werden. Und gab ihm den polynesischen Fingergruß
mit aufgestecktem kleinen Finger und Daumen.
Er hielt es offenkundig mehr für eine Beleidigung als eine Aufmunterung
und meinte mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme – ich hatte ihn mir
sonst eher als Tenor vorgestellt – : Das ist ein ernstes Thema, mein Herr.
Ich sagte, ja, natürlich, ich freue mich auf fruchtbare Diskussionen
und hielt beide Daumen hoch. Er erkannte diese Geste und den guten Willen
und klopfte mir begütigend auf den Unterarm: Ja, mein Freund, na dann…
Der Running Gag an diesem Ort, du sagst, wie in einem Kinderbuch:
Ich habe einen Wal gesehen! (In dem Kinderbuch ist es ein Junge,
der jeden Ferientag einen Wal imaginiert, den niemand anders sieht; doch
schließlich erscheint der Wal, vielleicht, als der Junge längst abgefahren ist,
zurück in seinem Plattenhaus) Wie es wohl ist, ein Wal zu sein?
Du sagst, es interessiert dich nicht. Diese Haut, die kein Salzwasser korrodiert
und auf der die Seepocken wohnen. Durchs Pounamugrüne, Preußischblaue,
traute acheronschwarze Nachtmeer gleiten,
alle paar Minuten auftauchen, alles wird heller, atmen. Die Schweinsäuglein
müssen eine Art Schutzfilm haben, sagst du, denn sonst würden sie
durch die permanente Friktion mit dem Seewasser abgeschmirgelt.
Einige Walarten sollen keinen Krebs bekommen. Und was noch?
Fressen, einfach das Maul aufsperren, durchseihen. Walsex.
Bereitet es ihnen Vergnügen? Ist es ein Trieb, wie der Fresstrieb,
der sich zur notwendigen Zeit einstellt? Wussten die vorkolonialen Māori mehr
über die Wale? Du sagst, im Westen machen wir alles zu Objekten, andernfalls
sentimentalisieren vermenschlichen wir alles. Wir leben in der Epoche ohne Zwischentöne.
Wolkenfenster. Die ersten Bushvögel melden sich und verkünden ein vorläufiges Ende
der anthropozenen Sintflut. Nach welcher der Aucklander Flughafen, wieder eins
mit den ihn umgebenden Mangrovesümpfen, unter Wasser steht.
Die Urwaldpiste am Bus verschlingt die frisch geschwärzten Stadtreifen.
Auch in der Furt bleiben sie lehmfarben, denn die zornigen oberhimmlischen
Wasser reißen die Muttererden in einen Tanz hinunter zum Meer. Wir
kommen nicht durch. Was sonst ein Bach war,
ist nun ein reißender Fluss, das Wasser zu hoch für den Radstand
des Kleinwagens. Zurück zum Postbus. Der Busch dampft. Das Herz rast.
Kein Meer. Kein Wal. Allein auf dem feuchten Papier des Skizzenbuchs.
Text Copy Right @ Norman P. Franke ~ ARIEL-ART 2023-05-01