Poetry

Karl-Hans Graf (Germany)
Karl-Hans Graf (German Poems), Peter Lenz & Horst Spandler (English Versions)

 

 

 

Provence, landscapes of the minds (Excerpts)*

* Some of the poems (German versions) can be found in:  Karl-Hans Graf: Tage im Luberon, Wenzenbach 2020

I

… Und er schüttete

ein besonders ansprechendes Licht

über die Landschaft der Provence.

Und es war Morgen und es war Abend,

der achte Tag …

 

II

Der Felsenpfad liegt in der stechenden Sonne, führt

neben einer Mauer den Hügel hinauf zu einer historisch interessanten Burgruine.

Ich stehe am Abhang, kehre um,

will nur der Hitze entfliehen und unten im Schatten vor

dem Dorfcafé einen eisgekühlten Pastis trinken. Ich weiß,

in euren Augen bin ich ein Banause. Aber schwebend

und leicht wird mir der Nachmittag, der langsam vorbeigeht.

 

III

Im Gegensatz zu den Mönchen, die einst im Kloster

St. Hilaire lebten, kann ich der Stille in der gotischen Kirche

nicht lange folgen, nicht einmal eine Viertelstunde.

Und trotzdem kehrt die Erinnerung manchmal hierher

zurück, so, als ob diese Stille ein Zufluchtsort sei.

 

IV

Die Stromleitung neben dem Schotterweg

verbindet die Einödhäuser. Darauf sitzen

Morgenvögel, singende Noten auf einer Zeile.

Ich stehe am geöffneten Fenster, stelle mir vor,

dir diese Musik als Weckruf zu bringen.

 

V

Lesen, ein Schattenplatz im Garten, das Buch wird zum

fliegenden Teppich, an dem ich mich festhalte. Der Wind trägt mich

fort in Situationen, die durch Wörter entstehen. Ich bin im Unbekannten,

schaue, höre zu, bewerte. Blätter rascheln, die beim Umblättern und

die über mir. Benommen komme ich später zurück, kenne mich besser.

 

 

 

VI

Sivergues 1: Eine schlichte graue Kapelle steht am Eingang

zum Ort, im Inneren alte Holzbänke, ein Altar, darüber

in der Mitte eine Nische mit einem Kreuz, rechts und links jeweils

zwei Kerzen. In diesem kargen Raum war ich mir nah und

durch zwei Fenster fiel das Abendlicht, ein Zuspruch.

 

 

VII

Sivergues 2: Hier endet die Straße. Die wenigen Häuser,

wie aus den Felsen gewachsen, sind von Wäldern umgeben.

Die Stille, die an diesem Ort noch heute regiert, bringt

den Vers zurück, den René Char 1949 hier geschrieben hat:

„Là oú nous sommes, il n´y a pas de crainte urgente.“1[1]

Der Satz wiederholt sich, beschreibt das kleine Dorf, der Wind

singt ihn leise und meine Schritte gehen in seinem Takt.

 

VIII

Rechts und links des steilen Pfades stehen

Bäume. Ihre Äste bilden einen dunklen Schattengang,

ein grünschwarzes Tunnel für einige hundert Meter.

Der Jubel des Lichts hat sich entfernt. Weitergehen,

das Aussichtslose hinter sich lassen, auch im Alltag.

 

IX

Die Mauern, Säulen und Außentreppen des Hauses wurden

aus Naturkalksteinen gebaut. Ihre unregelmäßigen

Formen faszinieren, widersprechen dem Gewohnten,

den glatten verputzen Flächen, den gleichmäßigen Quadern.

Warum bleiben wir stehen? Verändert uns dieses Bild?

 

X

Unbeeindruckt von Theorien summen die Bienen in der

Gartenlinde. In ihrer Krone bewegt sich im Blätterrauschen

das Abendlicht im Wind. So verabschiedet sich der Tag und

der Weg des Schreibens geht durch Augen und Ohren. Hinter dem,

was ich wahrnehme, bleiben die Wörter und Sätze zurück.

 

 

 

[1] Da, wo wir sind, gibt´s keine Furcht, die drängt.“ Zitiert nach: René Char: Draußen die Nacht wird regiert. Frankfurt am Main. 1986. S 111

I

… And he poured an especially appealing light

over the provencal landscape

and there was morning, and there was evening,

the eigth day.

 

II

The rocky pathway lies in the glaring sun,

and it leads upwards a hill alongside a wall

to a historically interesting castle ruin.

I‘m standing on the hillside turn round –

I just want to escape the heat

get back to where I started,

to have a icecold Pastis

in the shade of the village cafe‘s front side.

I know that in your eyes I‘m just a philistine

but the afternoon steeling away lightens me

and makes me float.

 

III

Unlike the monks

who once lived in St. Hilaire Monastère

I cannot endure the silence

in the Gothik church for long,

not even for a quarter of an hour

and still sometimes my mind

takes me back to here

as if this silence were a hideaway.

 

IV

The current line

alongside the gravel path

connects the isolated farms.

Early birds are sitting on them

singing notes on a line,

I stand at the open window

imagining to send you this music

as a wake call.

 

V

Reading, a shady place in the garden,

the book turns into a flying carpet I cling to,

the wind carries me away into situations

which arise from words,

I‘m in the unknown, look, listen, judge,

the leaves above me swish as the pages do

when I turn them,

I come back later knowing myself better now.

 

 

 

VI

Sivergues 1: A simple grey chapel is at the entry to the village,

old wooden pews inside, an altar, above its center

a nuke with a crucifix, two candels on each side.

In this sparcely furnished room I was almost one

with my inner self and the light of dusk

fell through a pair of windows – a comfort.

VII

Sivergues 2: This is where the road ends.

The few houses as if brought forth by the rocks

are surrounded by woods,

the stillness which still rules this place

brings back the lines René Char wrote here in 1949:

„Là oú nous sommes, il n`y a pas de crainte urgente.“2[1]

The sentence repeats itself, describes the little village,

the wind hums it quietly and my feet walk with it in rhythm.

VIII

There are trees on both sides of the steep path.

Their limbs form a dark corridor of shadows,

a green and black tunnel of a few hundred meters.

The light‘s jubilation is gone away, move on,

leave the unwinnable behind, even in every day life.

 

IX

The house`s walls, columns and outside stairs

are made of natural limestone.

Their irregular shapes fascinate, contradict

the ordinary, the smooth plastered surfaces,

the even square stones.

Why do we stop? Does this sight change us?

 

 

X

Unimpressed by theories the bees are buzzing

in the garden‘s linden tree. In its top

the evening light moves among the murmor

of the leaves in the wind.

This is how the day takes its leave-

says goodbye and the path of writing

winds through eyes and ears,

the words and sentences fall behind

the landscape of my mind.

 

 

[1] Where we are there is no urging fear. Da, wo wir sind, gibt´s keine Furcht, die drängt.“ Zitiert nach: René Char: Draußen die Nacht wird regiert. Frankfurt am Main. 1986. S 111